Ich stand vor der Theke einer Fleischerei und betrachtete die Auslagen. Das Angebot interessierte mich nicht sonderlich, schließlich wusste ich, was ich wollte, aber vor mir warteten drei Leute, und ich hatte nichts Besseres zu tun. Plötzlich fragte eine der Verkäuferinnen: „Was darf's bei Ihnen sein?“
Überrascht blickte ich auf. "Äh, sechs Pfund Blutwurst bitte."
"Sind Sie sicher?"
"Ja, bin ich."
"Ein Pfund sind 500 Gramm."
"Ich weiß."
"Also sechs Pfund sind drei Kilo."
Ich nickte.
"Ist gut", murmelte die Verkäuferin. "Ich muss sehen, ob wir noch so viel ..." Ihr Satz verlor sich, während sie den Verkaufsraum verließ. Sie kam mit sieben großen Würsten wieder. Mit Leidensmiene fragte sie: "Geschnitten?"
Ich war versucht zu nicken, entschied mich jedoch für: "Nicht nötig, danke."
Sichtlich erleichtert schlug die Verkäuferin meine drei Kilogramm Blutwurst in Papier, steckte sie in eine Plastiktüte und reichte sie mir über den Tresen, nachdem ich gezahlt hatte. Als ich den Laden verließ, lief mir das Starren der Leute kalt den Rücken herunter.

Seitdem habe ich mich darauf verlegt, meinen Blutwursteinkauf nicht nur in einem einzigen Geschäft zu erledigen. So laufe ich durch die Stadt, von Fleischer zu Fleischer, um in einem Geschäft einige Scheiben Blutwurst, in einem anderen ein Glas Rotwurst und im nächsten Laden wiederum einen halben Ring Pfälzer Speckblutwurst zu kaufen. Alles in allem besuchte ich heute einen Supermarkt, zwei Tante-Emma-Läden und neun Fleischer. Ich weiß, man sollte nicht hungrig einkaufen gehen.
 
Obwohl ich lieber bei geschlossenen Jalousien in meiner Wohnung sitzen, einer meiner alten Schellackplatten lauschen und Erinnerungen nachhängen würde, muss ich mich doch auf den Weg machen, um etwas Hungerstillendes zu besorgen. Einerseits für Madame, die schon zwei Strategien ausprobiert hat, um meinen unwilligen Hintern aus dem Haus zu bewegen: Ungnädig miauen (=fauchen.) Und meine Beine umschmeicheln, was sonst nicht ihre Art ist. Ehrlich gesagt, möchte ich Madame nicht dazu zwingen, eine dritte Strategie aufs Tableau zu bringen. Vielleicht ließe sie sich sogar streicheln. Das muss nicht sein, das wäre wider ihre Natur.
Wider meine Natur wäre, Nudeln zu kochen und diese zu verzehren, um mich zu sättigen. Womit wir beim andererseits wären. Daher muss ich mich so oder so auf den Weg machen, sonst geschieht noch ein Unglück.
 
... kann ich nicht widerstehen. Ebenso roten Zwiebeln, reifen Tomaten, Himbeerbonbons oder Grenadine. Aber auch rotlackierten Fingernägeln oder rotgekleideten Leuten. Der Klassiker ist der rote Schal auf schwarzem Grund. Drei Etagen unter mir wohnt eine Frau, die ihr Haar als Bubikopf zur Schau trägt, jedoch nicht wie Dorothy Parker oder Louise Brooks in dezentem Schwarz, sondern knallrot gefärbt. Wenn wir uns im Treppenhaus begegnen, komme ich nicht umhin, sie anzustarren, während sie die Treppe hinauf hastet oder hinunter hüpft.
Zu behaupten, nicht zu wissen, warum Rot meine niederen Instinkte weckt, wäre Heuchelei. Rot ist nun einmal die Farbe meiner unanständigen Träume, Rot ist die Farbe von Blut.
Nur leider nicht die Farbe von Blutwurst.